5.11.13

Zum Wohl aller Bürger! - Das höchste Glück


[Erschienen als Glosse in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 2. Nov. 2013: "Bruttoinlandsglück"]


Freude

Was Bhutan tut, kann Venezuela schon lange: Wohlbefinden fördern. Der Weg dahin führt – so will es Präsident Maduro – über ein neues Ministerium.

Es ist so eine Sache mit dem öffentlichen Glück. Gerade hierzulande, wo trotz Tausenden von Glückshandbüchern, Glückstherapeuten und Wirtschaftsglücksmeldungen jede U-Bahn-Fahrt der triste Besuch in einem Kabinett der langen Gesichter ist und jedes Gespräch über die Zukunft der potentielle Auslöser einer chronischen Depression, ist immer noch unklar, wer überhaupt für das Bürgerglück zuständig ist.

Vielleicht die Volksparteien, die, jede auf ihre Art, das große Glück versprechen, im Kreise der Liebsten, wohlernährt und am besten im Grünen nachhaltig zu altern? Aber dann versteht man nicht, wieso alle Politiker (bis auf die Piraten, aber das ist ja schon gegessen), die doch vorbildlich glücklich sein sollten, immer so sauertöpfisch dreinschauen. Oder ist etwa das EU-Parlament zuständig, das sich gerade heroisch dafür einsetzt, dass man auf europäischen Flügen ein zweites Handgepäckstück mitnehmen darf?

Zentrale Anlaufstelle für Beschwerden

Da sind andere Länder, muss man schon sagen, in Sachen Glück wesentlich weiter. Liest man zum Beispiel Artikel 9 der Verfassung der südasiatischen Monarchie Bhutan, wird einem gleich klar, wie gut es andere auf diesem jämmerlichen Planeten haben: „Der Staat bemüht sich, jene Bedingungen zu fördern, die das Streben nach Bruttoinlandsglück ermöglichen.“ Vom Wunsch der edlen Herrscher Bhutans, jenes Vorhaben in die Tat umzusetzen, zeugen womöglich das totale Rauchverbot und die damit verbundenen Geldstrafen, für die ein durchschnittlicher Bhutaner ungefähr drei Leben lang schuften müsste.

Im selben menschenfreundlichen Geist hat nun Venezuelas Präsident Nicolás Maduro angekündigt, es werde demnächst ein „Vizeministerium für das höchste soziale Glück des venezolanischen Volkes“ eingerichtet. Es soll alle Ämter vereinen, die sich bisher der Beschwerden benachteiligter Bürger annahmen. Außerdem soll die Behörde, wie Maduro erklärte, „unseren Kommandanten Hugo Chávez“ sowie den Befreier des Landes, Simón Bolívar, ehren – ein Ziel von ja fast allen Maßnahmen der Regierung Venezuelas, auch schon, als der verstorbene Chávez noch lebte und regierte.

Die Reaktionen auf Maduros Bekundung sind, um es zurückhaltend zu formulieren, vorsichtig. Ein Skeptiker kommentierte via Twitter: „Genau das, was Venezuela braucht: ein Glücksamt und doch keine Lohnerhöhung!“ Auf Facebook schrieb eine Exil-Venezolanerin: „Jetzt wird endlich alles gut! Aber warum nicht gleich ein richtiges Ministerium?“ Wie auch immer, das Vizeministerium fürs Glück wird einiges zu tun haben. Venezuelas Regierung wird als korrupter wahrgenommen als die Weißrusslands oder Kongos. Im Lande sind Angriffe gegen Regierungskritiker Alltag. Und in den vergangenen Jahren haben sich Armut und Kriminalität beträchtlich vervielfacht. Höchste Zeit also für das höchste Glück.
© HDCA, 2013

26.8.13

Bratwurst und Federhütchen – Die Pferderennbahn Hoppegarten



Wenn Brandenburg, diese grüne Ödnis, die sich mit ihren endlosen Pappelalleen, ihren Sümpfen und Wildschweinen, ihren entleerten Städten, ihrer kahlköpfigen Dorfjugend und ihren fünfzehnjährigen Müttern von Berlin aus in alle Himmelsrichtungen erstreckt – wenn Brandenburg in irgendeiner Hinsicht mit dem Wort „Chic“ in Verbindung gebracht werden kann, dann auf der Galopprennbahn Hoppegarten, im Osten Berlins. Gegründet 1868, war sie noch vor hundert Jahren die wichtigste Pferderennbahn in Deutschland. Das ist längst vorbei – und doch kann Hoppegarten noch heute dem Neugierigen einige Freuden bereiten.

Vor Berlin Ostkreuz mit der S-Bahn nach Hoppegarten fahrend, ist man, je näher man seinem Ziel kommt, von mehr und mehr Leuten umgeben, die wie Statisten aus einem völlig ausgeflippten DDR-Film über Ascot aussehen. Die Galopprennbahn selbst ist ein Paralleluniversum. Gekleidet wie eine Matrone aus dem Kaiserreich spielt eine alte Frau auf dem Vorplatz eine Drehorgel. Vor den Kassen ist alles bunter Sonnenschirm, Federhütchen und „det“, „wat“ und „haste nich jesehen!“.


Dressed to kill

Zum Glück wird dem Amateur-Pferdewetter der Einstieg leicht gemacht. An den Wettbuden beim Eingang kann man ab einem miserablen Einsatz von 50 Cent das Schicksal herausfordern und seinen etwaigen (und in der Regel ebenso miserablen) Gewinn kassieren. Die Favoritenpferde bringen den kleinsten Gewinn: ihre sonderbaren Namen – „Mystical Wind“, „Aloha Iwanaga“ oder „Rotkäppchen Rubin“ – stehen ja auf einer grossen Tafel, damit jeder Trottel mitmachen kann. Aber es sind die Nicht-Favoriten, die „Außenseiter“, die die hohen Quoten bringen. Wer zum Beispiel tollkühn auf „Run on Fire“ setzt (laut Prospekt: „Wartet immer noch auf den ersten Lebenserfolg und kam in ihrer Karriere noch nie auf den ersten drei Plätzen an. Das Fragezeichen in diesem Rennen“), wird reichlich belohnt, wenn das Tier gegen alle Erwartungen gewinnt. Mit den Außenseitern ist es bisschen wie mit jenen bebrillten Mauerblümchen auf den Partys, die sich nach 3 Gläsern Sekt doch als feurige Sexbombe entpuppen: wer nichts riskiert, verpasst das Leben.

Vor dem Rennen kann man die riesigen Pferde und ihre unglaublich schmächtigen Jockeys begutachten und sich überlegen, wer wie ein Sieger aussieht. Die acht Rennen am Tag dauern jeweils etwa vier Minuten und enden mit kreischenden Frauen und klatschenden Kindern auf den Schultern der Väter, die sich freuen, weil sie 3,80 Euro gewonnen haben. Zwischen den Rennen liegen halbstündige Pausen, die man dafür nutzen kann, neue Wetten abzuschließen, Zuckerwatte zu kaufen und die schrägen und wunderbaren Vögel des märkischen Sommers zu beobachten:

Alte Besucher

Ein altes lokales Ehepaar zum Beispiel, das im sonntäglichen Partnerlook elegant durch die Menge schreitet und sich Händchen haltend fotografieren lässt. Eine Gruppe tätowierter Eingeborener hat sich fein rausgeputzt – jedenfalls die Frauen, die breitkrempige Strohhüte, knielange Seidenkleider und Stöckelschuhe tragen (die Männer Bermuda-Shorts und Goldkettchen). Dazwischen springen die Berlin-Mitte Kunstgeschichtsprinzessinen in flatternden Kleidchen herum, begleitet von ihren Werbetextern in roter Hose, blauem Sakko und weißem Hemd, ausgerüstet für eine Landpartie à la „Great Gatsby“ auf Bio-Spar-Modus: Picknickdecke, „Rotkäppchen“ in Plastikbechern, Kartoffelchips und zwei selbst gemachte Quiches.

So wat hab ick noch nie jesehen!“, sagt uns eine ältere Frau, als sie an uns beim Auspacken der Quiche vorbeigeht. Ob sie probieren will, fragen wir. Nee, Danke – dafür bringt sie kurze Zeit später eine Tasse Filterkaffee vorbei. Die Dame heißt Hanni, kommt aus Hoppegarten und arbeitet seit 30 Jahren auf der Galopprennbahn. Die Arbeit gefalle ihr immer noch, aber es sei einfach nicht mehr, was es war, als noch die Filmstars der DDR zu ihr kamen und ihren Namen kannten. Heute geben die Leute kein Trinkgeld mehr, kennen einen nicht und sind nur da, um gesehen zu werden. Es sei halt alles „anonym jeworden“. Warum das so sei, wollen wir wissen. „Det verdammte Jeld“, das alles kaputt macht, philosophiert Hanni – die aber gleich weiter arbeiten muss. Wenn wir das nächste mal hier sind, sagt sie schnell beim Abschied, sollen wir sie suchen. Sie wird sich sicher an uns erinnern. Dann kriegen wir gern wieder mal einen Kaffee und noch ein paar Geschichten über Hoppegarten.



© Text und Bilder: Jana Burbach, HDCA, 2013

25.6.13

„Das schreckliche Stöhnen der Zombies ist wieder da!“


Im Gespräch: der Zombie-Experte Max Brooks
[Eine Version dieses Gesprächs erschien im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 27. Juni 2013]
 
Max Brooks empiehlt: Im Falle einer Zombieplage, bloß nicht in Panik geraten!
 


Die Zombies sind zurück. Die bizarren und blutigen Geschichten von menschenfressenden Leichen erleben gerade ein herrliches Wiederaufleben. Der Bestseller-Autor Max Brooks, Sohn des US-amerikanischen Komikers Mel Brooks, hat das Buch der Stunde geschrieben. „World War Z“, dessen Verfilmung mit Brad Pitt diese Woche in die deutschen Kinos kommt, erzählt von den katastrophalen Folgen einer globalen Zombieplage. Ein Gespräch über lebende Tote, politische Allegorien und das Ende der Welt.


Herr Brooks, was ist ein Zombie?
In wenigen Worten, ein Zombie ist eine lebende Leiche ohne Geist, ohne intellektuelle Fähigkeiten, die versucht, Menschen zu fressen.

Wieso wollen die Zombes uns fressen?
Ich glaube, sie wollen den Virus verbreiten, der sie selbst zu Zombies gemacht hat, und somit noch mehr Zombies kreieren. Obwohl – ich glaube nicht, dass man wirklich sagen kann, Zombies „wollen“ irgendetwas.

Ihre Bücher über Zombies werden automatisch zu Bestsellern. Ihre Vorträge in den Vereinigten Staaten sind immer ausverkauft und wer in diesen Tagen eine Frage über Zombies hat, geht zu Ihnen. Wie fühlt es sich an, der berühmteste Zombie-Experte der Welt zu sein?
Es gibt andere Personen, die auch sehr gut informiert sind. Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht, ob ich wirklich so ein großer Zombie-Experte bin, das sollen andere entscheiden. Eines kann ich aber mit voller Zuversicht sagen: ich bin ein großer Zombie-Nerd.

Angesichts ihrer Zombie-Obsession, hält Sie ihre Familie nicht für einen schrägen Vogel?
Ich komme aus einer Familie von Künstlern, für uns ist „schräger Vogel“ ein ziemlich relativer Begriff.

Ihr erster Bestseller, „Zombie Survival Guide – Überleben unter Untoten“, ist Zombie-Universallexikon und Zombie-Handbuch zugleich. Es erörtert die Natur und die Geschichte der lebenden Toten, weist Mythen zurück und erklärt, wie wir am Besten mit ihnen umgehen sollen. Wie ist das „Survival Guide“ entstanden?
Ich habe das „Survival Guide“ geschrieben, weil ich mich vor Zombies fürchtete. Ich wollte wissen, was sie sind, wie man sie bekämpfen kann. Nun, niemand hatte darüber geschrieben. Also beschloss ich, die schmutzige Arbeit selbst zu machen.

Viele Leute denken, das „Survival Guide“ sei ein humoristisches Buch.
Auf gar keinen Fall! Sind Sie verrückt? Was soll lustig daran sein, mit allen Mitteln zu versuchen, eine globale Zombieplage zu überleben? Man muss eine kranke, eine perverse Person sein, um zu glauben, dass lebende Leichen, die Menschenfleisch essen, „humoristisch“ sein könnten.

Sie haben also wirklich Angst vor Zombies.
Natürlich habe ich Angst vor Zombies, mein Gott! Sie sind die globale Plage! Man kann mit ihnen nicht verhandeln, man kann nicht argumentieren. Sie wollen uns einfach fressen, das ist das Einzige, was ihnen wichtig ist. Und sie werden Ihnen hinterher kommen, nicht einzeln, sondern in Scharen. Ob Fiktion oder nicht, so ein Szenario ist einfach beängstigend.

Zombies sind einmalig in der Pop-Kultur: sie haben keine inneren Konflikte, sie verlieben sich nicht, sie hassen nicht. Man kann sich mit ihnen einfach nicht identifizieren. Und doch sind sie äußerst erfolgreich. Als das „Zombie Survival Guide“ 2003 erschien, meinten ihre Verleger, niemand würde sich für so ein bizarres Thema interessieren. Wenige Monate später hatten Sie schon mehr als eine Million Kopien allein in den Vereinigten Staaten verkauft. Ihr zweiter Bestseller, „World War Z“, wurde soeben mit Brad Pitt verfilmt. Die Fernsehserie „The Walking Dead“ wird jede Woche von Millionen von Personen weltweit verfolgt. Und überall Zombie-Romane, Zombie-Comics. Was ist denn so faszinierend an Zombies?
Ich denke, sie sind eine sichere Form, durch die Menschen ihre Ängste vor dem Ende der Weltderen Gründe im Übrigen sehr real sind – erkunden können. Wir leben in angsteinflößenden Zeiten, in einer weltweiten Krise und Leute wissen nicht, was die Zukunft bringen wird. Zombiegeschichten lassen uns sehen, wie das Ende der Welt sein könnte. Aber da es Zombies sind und kein globaler Terroranschlag, der Atomkrieg oder AIDS, können wir trotzdem nachts ruhig schlafen.

Und weil wir zu sehr an das Ende der Welt denken, sind Zombies, nach den letzten Jahren Vampyrenkitsch und Kleinzauberergeschichten, wieder aufgetaucht?
Ich glaube schon. Denken Sie nur darüber nach: Zombies waren sehr populär in den 70ern während der schlimmen Jahre des Kalten Krieges, als die Leute in den Vereinigten Staaten und Europa sehr unsicher über ihre Zukunft waren. In den 80ern und 90ern, als zumindest im Westen alles wieder zur „Normalität“ zurückkehrte, waren sie weg. Und jetzt, mit all den Umwälzungen der letzten 12 Jahre seit dem 11. September ist das schreckliche Stöhnen der Zombies wieder da.

Wenn man an die Zombie-Fieber der 70er Jahre denkt, kommen einem als Erstes George A. Romero und Filme wie der Klassiker „Die Nacht der lebenden Toten“ von 1968 in den Sinn. Was halten Sie von Romero?
George A. Romero ist der Zombie-King. Er hat das moderne Zombie-Genre erfunden und somit sozusagen das kulturelle Drehbuch über die lebenden Toten für das ganze 20. Jahrhundert geschrieben. Ohne Romero wäre es einfach nicht zur Renaissance des Genres gekommen.

Für viele sind Romeros Filme über Zombies eigentlich politische Allegorien, die soziale Missstände in den Vereinigten Staaten wie z.B. Rassismus, exzessiven Kapitalismus, oder Kriegsfanatismus offenlegen und kritisieren. Was denken Sie darüber?
Ich bin mit dieser Interpretation einverstanden. Was ich an Romero so fesselnd finde, ist seine Fähigkeit, jedes Ding, was er tut, zu einem gesellschaftlichen Kommentar zu machen. Das gilt auch für seine Filme. Ich mag Geschichten, die das „große Bild“ der heutigen Gesellschaft darstellen, Geschichten, die zeigen, warum es notwendig ist, nicht gedankenlos zu handeln. Und wenn es darum geht, sich über die menschliche Natur Gedanken zu machen und die Gefahren des Automatismus zu zeigen, macht Romero alles richtig.

Haben ihre eigenen Bücher auch ein politisches Interesse?
Ich weiß nicht, ob ich es „politisch“ nennen würde, aber wie gesagt, ich denke gern darüber nach, was uns Menschen so macht, wie wir sind. Und ich glaube, die Zombie-Geschichten handeln weniger von den lebenden Toten als von uns selbst.

„World War Z“ erzählt die Geschichte des Krieges, der am Ende des 20. Jahrhunderts als Konsequenz einer globalen Zombieplage ausgebrochen ist. Diese hat die ganze Welt völlig unvorbereitet erwischt: was mit einzelnen Fällen von Infizierten anfing, vor allem in entfernten Dörfern Chinas und Afrikas, endete in einem kompletten Chaos, das die menschliche Zivilisation fast ausrottete. Sind wir heute für eine globale Plage jenes Ausmaßes vorbereitet?
Das hängt vom jeweiligen Land ab. Ich kann Ihnen versichern, dass in den Vereinigten Staaten Barack Obama sein Bestes tun würde, um uns zu beschützen – vor Zombies und unserer eigenen Kurzsichtigkeit. Was Deutschland angeht, das müssen Sie mir sagen: Sind Sie vorbereitet?

Zwei praktische Ratschläge von Ihnen als Experte. Was werden Sie als Erstes machen, wenn die ersten lebenden Toten anfangen, Leute zu fressen?
Innehalten, tief durchatmen und nachdenken. Wie die Engländer sagen: „Keep calm and carry on“.

Und was muss man um jeden Preis vermeiden im Falle einer Zombieplage?
In Panik zu geraten. Glauben Sie es mir: die Hysterie wird viel mehr von uns töten, als die Zombies selbst.

Max Brooks arbeitete als Autor der Fernsehshow „Saturday Night Life“ bevor er begann, über Zombies zu schreiben. Seine Bücher: „ Zombie Survival Guide – Überleben unter Untoten“, München, 2004 und „World War Z – Operation Zombie“, München, 2013.

„World War Z“-Trailer.

Das Interview führte Hernán D. Caro.
© HDCA, 2013

20.1.13

Heeeeeeeeyyyy!!!! - Die Berliner und die Fashion Week

[Erschienen in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung am 20. Jan. 2013]

Alle auf den Catwalk - Modenschau in Berlin Kreuzberg

Zur Berliner Fashion Week, die heute endet, gehört es seit jeher, dass man sie gern verspottet. Berlin könne eben nicht mit New York, London, Mailand und Paris mithalten und so weiter. Die berufstätige Berlinerin trage ja im Winter am liebsten einen grauen Anorak mit schwarzer Schlaghose und Deichmann-Schuhen, und der berufstätige Mann im Sommer ein kurzärmeliges Hemd mit Kravatte. Der Yves Saint Laurent Berlins sei ein komischer Typ namens Michalsky, der eine Style-„Nite“ veranstaltet; und in den Luxusboutiquen auf der Friedrichstrasse kaufen nur vereinzelt Russinnen ein. Kurz: der Berliner weiß nichts von Mode – und will auch nichts davon wissen.

Das alles stimmt. Das sagen auch die Berliner, denen es ganz viel Spaß zu machen scheint, zweimal pro Jahr ausgiebig über die Fashion Week zu schimpfen. Dieser Unmut ist aber mehr Koketterie als etwas anderes, denn keiner kann am Ende verbergen, dass er sich über die Invasion von modischen Marsmenschen doch sehr amüsiert. Ein Taxifahrer, gefragt nach seiner Meinung, antwortet belustigt: „Die stinken mir mit dem Parfüm das ganze Auto voll!“. Und nach einer Modenschau im Mercedes-Benz-Zelt hinter dem Brandenburger Tor sagt ein Mädchen scheinbar genervt zur rauchenden Runde: „Das war ungefähr so spannend, wie wenn ich die Augen schliesse“. Nach der Zigarette geht sie wieder schwungvoll hinein.

Das Spiel der Berliner mit der Fashion Week ist ein bisschen wie der Balztanz, der sich vor dem Zelt abspielt: Das steht ein Mann, eine Kamera mit riesigem Objektiv in der Hand, und schaut sich um. Da steht eine Frau, eine Kamera um den Hals, redet mit einer Freundin und schaut sich um. Er trägt ein weinrotes Samtsakko, Röhrenjeans und eine Pelzmütze und beobachtet sie: Sie trägt schwarze Leggings in Lederoptik, eine Seidenbluse mit Pailletten an den Schultern und Plateau-High-Heels. Dazu einen übergroßen Mantel aus Pelzimitat, auf dem Kopf einen Cowboy-Hut. Als er entschlossen auf sie zugeht, guckt sie schnell in die andere Richtung. Nachdem er sie anspricht, fragt sie skeptisch und etwas herablassend, wofür denn das Bild sei. Für einen Street-Style-Blog. Das Mädchen zuckt mit den Schultern: Okay. Da macht sie ihr bestes Spiegelgesicht, der Blick zwischen sachlich und gelangweilt. Hinterher geht das Mädchen wieder zur Freundin, und als der Fotograf nicht mehr in Hörweite ist, machen beide grosse Augen und kichern aufgeregt. Und die eine sagt der anderen: „Heeyy!!!“
© HDCA, 2013

11.10.12

Eine Schule fürs Auge: „The Sartorialist - Closer“

„Warum sind die Pariser Modeschauen so besonders?“ – fragt man im Film Bill Cunningham New York den legendären Modefotografen. Cunningham, der seit sechzig Jahren das Modegeschehen fleißig, ja sogar systematisch für den New York Times registriert, sagt mit ehrfürchtiger Miene, als spräche man über ein biblisches Mysterium: „Weil Paris das Auge erzieht“.

Auch die Bilder von Scott Schumans Blog The Sartorialist erziehen das Auge, obwohl zu einer etwas anderen Art von Schönheit als die der Pariser Modeschauen. 2005 fing Schuman an, auf den Straßen von New York Bilder von Menschen und ihrer Kleidung zu sammeln und veröffentlichen. 2009 erschien sein erstes Buch mit Bildern aus dem berühmten Blog. Das Buch wurde schnell zu einem Verkaufserfolg. Nun ist ein zweiter Sammelband erschienen: The Sartorialist: Closer (New York: Penguin, 2012). Die neue Anthologie enthält etwa 500 Bilder aus den Jahren 2009 bis 2012, die Schuman in New York, Paris, Florenz, Seoul, Madrid oder London aufgenommen hat. Wie schon zuvor der erste Band, hat dieser zweite das Zeug dazu, zu einem Klassiker der zeitgenössischen Modefotografie werden. Inzwischen ist The Sartorialist der Inbegriff des 'Street-Style'-Blogs und zählt 14 Millionen Besuche pro Monat.



Sein Ziel, erklärt Schuman im neuen Buch, ist nicht, wie ein Reporter „darüber zu berichten, was die Leute auf der Straße tragen“. Damit unterscheidet er sich von anderen prominenten Experten des Alltags, wie August Sander mit seiner kolossalen Porträtserie „Menschen des 20. Jahrhunderts“ (1925) oder eben Bill Cunningham. Diese Fotografen haben den, mehr als journalistischen, fast wissenschaftlichen Anspruch, die Realität nicht nur zu registrieren, sondern vielmehr zu dokumentieren, klassifizieren und letzten Endes verständlich zu machen. Schuman im Gegenteil möchte nur seine „eigene romantische Annäherung zu dem“, was er auf der Straße sieht, aufnehmen. Was das genau heißen soll, ist unklar. Tatsache ist, dass es funktioniert. Man schaut sich die Bilder an, man macht es immer wieder, man analysiert sie, man lächelt und man staunt. Und immer mit dem glücklichen Gefühl: so besonders sind diese Menschen doch nicht, denen könnte man jeden Tag auf der Straße begegnen.

Die wenigsten Bilder zeigen 'fashionable' Gesellschaftslöwen, exotische Schönheiten oder sogenannte 'schräge Vögel'. Es sind ziemlich normale Menschen, die Schuman da zur Schau stellt: eine alte Frau in kariertem Mantel und blauem Kleid; ein cooler, rauchender Kerl wie aus einem Murakami-Roman; ein spanisches Kind in adrettem Sonntagsoutfit; eine hinreißende Motorradfahrerin. Das ist genau, was die Faszination des Sartorialist ausmacht: Es geht um Alltagsschönheit, darum, wie einfach es sein kann, im Alltag Schönheit zu entdecken. Dies zu erkennen und, warum nicht, zu wagen, sich selbst auszuprobieren – dazu ermuntern uns diese Bilder.


In den letzten Jahren wurden Schumans Bilder, die auch in Zeitschriften wie GQ, Vogue oder Interview regelmäßig erscheinen, u.a. im Victoria and Albert Museum in London und dem Metropolitan Museum of Photography in Tokyo ausgestellt. Und seine Bücher haben eine lukrative Welle in der Welt der Mode angetrieben: Blogbilder in Buchform zu veröffentlichen. Zwei Beispiele sind die Druckausgaben der Blogs Style Diaries: World Fashion from Berlin to Tokyo und Facehunter (2010).

Alle Bilder, die in den Sartorialist-Büchern erscheinen, sind im Blog zu finden. Doch scheint ihre Veröffentlichung im Buch Ihnen eine Realität, ein Gewicht zu verleihen, die sie auf dem Bildschirm nicht haben. Der erste Sartorialist-Band ist seit einigen Jahren ein Kult-Objekt und der zweite wird es bestimmt auch werden: die „Limited Edition“ des ersten Buches kostet inzwischen 400 EUR, die des zweiten (noch) 170 EUR. Was sagt uns das über die Zukunft des gedruckten Buches? Keine Ahnung. Die Bilder, die in diesen Büchern enthalten sind, sind auf jeden Fall, wie auch die der prächtigen Modeschauen in Paris, eine Erziehung des Auges – nur dass sie zum Entdecken einer Schönheit erziehen, die überall ist. Und sie sprechen vom Vergnügen. Von einem, das wir, die so gern sprechen, schreiben, grübeln, nachdenken, oft vergessen: das Vergnügen des Sehens.
© HDCA, 2012


14.9.12

Ich und Barcelona – Daniel Brühl geht spazieren

Wie war es nochmal? Ein Haus bauen, einen Sohn zeugen, einen Baum pflanzen: die drei Dinge, die jeder Mann in seinem Leben tun muss. Heute sieht es etwas anders aus. In diesen Zeiten der Selbstverwirklichung und des „Personal Brandings“, muss jeder, der auf sich hält, vor allem Eines lernen: sich selbst zu präsentieren.

Ein prominenter Vertreter dieses Selbstdarstellungsethos ist Armin Mueller-Stahl. Das Multitalent spielt Thomas Mann ebenso überzeugend wie einen russischen Mafioso, schreibt liebevolle Kurzgeschichten und findet noch die Muße dazu, rätselhafte Bilder zu malen, wie diejenigen, die vor wenigen Jahren den Einband des letzten Brockhaus zierten. Auch Axel Prahl, der durch seine Rolle als lustiger Ermittler im „Tatort“ zum Liebling des deutschen Fernsehpublikums wurde, veröffentlichte letztes Jahr eine Rock-CD, an die sich zweifelsohne zwei oder drei deutsche Zuhörer erinnern werden. (Konzerte in Schweinfurt und Luckenwalde sind angekündigt.)

Nun hat Daniel Brühl ein Buch über seine spanische Geburtsstadt geschrieben, das ab heute erhältlich ist. Der Titel: „Ein Tag in Barcelona“. Dort erzählt der Star („Good Bye, Lenin!“, „Inglourious Basterds“), der 1978 als Sohn eines deutschen TV-Regisseurs und einer spanischen Lehrerin geboren ist, Anekdoten aus seinem Leben, während er den Leser auf einen imaginären Spaziergang durch Barcelona einlädt.

Eine Liebeserklärung soll es werden, schreibt Brühl. Aber eine ehrliche, die auch die Schattenseiten der Stadt nicht verschweigt. Denn wie Brühl mit kritischem Geist bemerkt, ist es auch leicht, das sonnige Barcelona nicht zu mögen – „provinziell, geizig, klein“ kann man diese „hippe, architektonisch saucoole Metropole plötzlich finden“. So erfährt man auch etwas über die hässlichen Vororte Barcelonas oder die frühere Toiletten-Kultur in Katalonien (nämlich, dass es keine gab).

 
Leider bleibt unklar, an welche Zielgruppe sich das Buch richtet. Mal liest es sich wie ein pikantes Bekenntnis („Dann lachten wir beide – und knutschten. Aus der Beziehung wurde leider trotzdem nichts“), mal wie ein lehrreiches Sachbuch („Die Franco-Diktatur war nicht nur eine sehr rechte und katholische Angelegenheit, sondern auch eine sehr spanisch-nationalistische“) und oft wie ein Kinderbuch („Je länger ich an das Essen denke, desto lauter wird das Knurren in meinem Magen. Damit könnte ich Hannibal, die Römer, die Mauren und Napoleon gemeinsam vertreiben!“).

Auch Brühls Beteuerung, das Buch biete keinen Kitsch in „rosa Vicky Cristina Barcelona-Farben“, ist nicht ganz richtig. Dem Leser begegnen brummende Kellner, köstliche Paellas, spanische Frauen mit tiefer Stimme, Boule-Spieler und einen mutigen Torero – „typisch für Spanien“ halt, wie Brühl selbst schreibt.

Doch trotz Klischees und phantasievollen Metaphern („Ein Popsong wie eine eisgekühlte Zitronenlimonadenflasche“), kann man etwas lernen. Zum Beispiel, dass der britische Autor George Orwell im Spanischen Bürgerkrieg für die Republik kämpfte, das Camp Nou 100 000 Fußballfans fasst, Spanien nach Sonne, Eau de Cologne, Tabak und Tortillas riecht – und auch wie man, wenn man Daniel Brühl ist, Mädchen nicht anmachen soll.

Denn natürlich geht es im Buch vor allem um eins: um Daniel Brühl. Wie er erklärt, soll es „ein persönliches Buch werden“. Und das ist es auch. Das Bild, das von ihm entsteht, ist im Übrigen das Gleiche, was die meisten seiner Filme vermitteln: ein gutmütiger, aufrichtiger, netter Jungen mit dem „schönsten Spitzbubenlächeln“ (laut dem „Stern“).

Im Großen und Ganzen ist das Buch aber eine taugliche Sommerlektüre. (Schade nur, dass wir schon Mitte September haben!) Und der Fairness halber muss man sagen, dass das Buch der zweite Schritt eines größeren, lobenswerten Vorhabens ist, nämlich den Deutschen die spanische Kultur näher zu bringen. So eröffnete Daniel Brühl letztes Jahr ein Tapas-Restaurant in Berlin Kreuzberg, in dem Einheimische und gentrifizierende Neuberliner Seite an Seite den Geschmack des südeuropäischen Landes genießen können. Eine völkerverständliche Bestrebung, die in diesen unruhigen Zeiten der Eurokrise nur willkommen sein kann. Eine Meldung über eine baldige Daniel-Brühl-Flamenco-CD liegt allerdings noch nicht vor. 

(Daniel Brühl: "Ein Tag in Barcelona", Ullstein, 2012, 192 Seiten, 18 Euro.)

© HDCA, 2012