15.1.12

Mode und Apokalypse: wie die Modeindustrie die Erde ausbrennt (1)

Jetzt wo der Januar zu Ende geht, ist es zu spät, um das Weltende-Jahr 2012 mit einer Reflexion über das Ende der Welt anzufangen. Also keine apokalyptische Neujahrsrede diesmal, sondern eine Rezension des Buches To Die For: Is Fashion Wearing Out the World? (London: Harper Collins, 2011) von Lucy Siegle. Das Thema: die ethischen und ökologischen Nebenwirkungen der heutigen Modeindustrie und was wir gegen sie unternehmen können.

Die Geschichte dessen, was ein Kleidungsstück heutzutage hinter sich versteckt, ist mehrmals erzählt worden. Bekannt sind die miserablen Löhne und Arbeitsbedingungen in den Ländern, in denen die überbilligten T-Shirts von H&M hergestellt werden; die gesundheitsschädlichen Stoffe, die unsere Kleidung und Schuhe enthalten; die verbrecherische und seit einigen Jahrzehnten herrschende Kultur vom ‚Kaufen-Wegwerfen-Neukaufen‘.

Das blaue, blaue, blaue Wasser - greenpeace
Überraschend ist Siegles Buch also nicht wirklich. Und doch ist es wichtig. Die Guardian-Journalistin bietet eine gut recherchierte, geistreich geschriebene (verdammt, wie gut diese Engländer das können!) journalistische Arbeit an, die den dramatischen Stand der Dinge sichtbar macht. Bei der Fülle an Zahlenangaben und Geheiminformationen vergisst man fast, dass man ein Buch über Mode in den Händen hat, das fürs große Publikum gedacht ist. Dass Siegle sich als eine Modebesessene bekennt, die ‚von innen‘ das unglamouröse Elend der globalisierten Textilindustrie beleuchtet, macht das Buch noch relevanter. Sicher,  Siegles Anklage ist oft moralisierend, vielleicht auch gutgläubig. Aber wie schreibt man sonst über eine Katastrophe ohne sich die Kugel geben zu wollen?

Die ‚Katastrophe‘ spielt sich auf vielen Feldern ab

Einige wenige davon, als (schlechte) Geschmacksprobe, sind:

Die echten fashion victims. Die Üblichen: Frauen und Kinder der Produktionsländer (Indien, Bangladesch, China, lateinamerikanische Länder). Siegles Schilderung eines Tages im Leben einer Kleidungsarbeiterin in Kambodscha ist das Gangsterstück, das jeder kennt: schlechte bis inexistente Bezahlung, unbezahlte Überstunden, 7-Tage-, 16-Stundenarbeit, Nachtarbeit, Schikanen bei Krankheit, fehlender Mutterschutz, Schläge, sexuelle Belästigung, kein Gewerkschaftsrecht, regelmäßiger Tod von Arbeitern (wenn man von ‚Arbeitern‘ sprechen kann) bei Fabrikbränden... 2007 wurde bekannt, dass Gap Kinder in Indien unter brutalen Bedingungen fürs Nähen beschäftigt, dasselbe wurde und wird über andere sehr bekannte Modeunternehmen berichtet.

Als Konsequenz dieser Skandale sind die Codes of conduct entstanden, die das ethische Verhalten der Unternehmen reglementieren und mit denen jeder Konzern stolz auf seiner Webseite prangert. Fortschritt! Ist es besser geworden? Nein, natürlich nicht, wie Der Spiegel und die Süddeutsche Zeitung kürzlich zeigten.
Die Lederwarenindustrie: „eins der umweltverschmutzendsten Systeme, die sich die Menschheit je ausgedacht hat“ (S. 199). Zwei erschütternde Feldstudien diesbezüglich: die biologische Tötung des Ganges, in den über 1,2 Millionen Kubikmeter giftiger Abwässer täglich eingeleitet werden. (Der Beitrag der ca. 2.100 Gerbereien Indiens ist köstlich: Unmengen von Mangan, Chrom, Schwefel, Blei und Kupfer) und die andauernde Entwaldung des Amazonas-Regenwaldes. Nach Siegles Zahlen ist seit 1970 ein Fünftel des Regenwaldes verlorengegangen – zwischen 65% und 70% durch den Zuwachs der Viehhaltung.

Die ‚Altkleider-Lüge‘. Seit Mitte der 90er Jahre wird der afrikanische Kleidungsmarkt von Zweite-Hand-Kleidern dominiert, die in Industrieländern gespendeten wurden. In der UK werden jährlich ca. 300.000 Tonnen Altkleider gespendet. In Deutschland sollen es ca. 700.000 Tonnen sein. Mindestens 50% des Ganzen landet in Afrika. Die Konsequenz dieser Großzügigkeit ist leider alles außer großzügig: der Bankrott der afrikanischen Textilindustrie. In Nigeria, dem ehemals größten Textilhersteller der subsaharischen Region, und Tansania sind zwischen 1995 und 2005 jeweils 80.000 Arbeitsplätze in der Textilbranche verschwunden. Hier eine Dokumentation zum Thema.

Und dazu kommen Seiten und Seiten über Umweltvergiftung, Wasserverschmutzung (8.000 Liter Wasser für ein Paar Jeans usw.) oder das Schicksal der Tiere in der Seiden-, Woll-, Pelz-, Lederproduktion. Alles ziemlich schlimm.

© HDCA, 2012